BGH-Urteil XI ZR 107/24:
Kein Automatismus bei grober Fahrlässigkeit – Differenzierte Bewertung bei Phishing-Fällen
Am 22. Juli 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in der Entscheidung XI ZR 107/24 erneut zur Haftung von Bankkunden bei Phishing-Angriffen Stellung genommen – mit einem differenzierten und für Verbraucher durchaus hoffnungsvollen Ergebnis.
Der Fall: Phishing mit Call-ID-Spoofing und TAN-Generator
Die Klägerin war Opfer eines ausgeklügelten Phishing-Angriffs geworden. Eine angebliche Sparkassen-Mitarbeiterin kontaktierte sie telefonisch unter einer gefälschten Nummer der Bank und forderte sie zur Eingabe von Daten in ihren TAN-Generator auf. Die Klägerin folgte den Anweisungen – auch am Folgetag – und übermittelte mehrere TANs, woraufhin eine Echtzeitüberweisung über 35.555 € ausgelöst wurde.
BGH: Anspruch auf Kontokorrektur grundsätzlich gegeben
Der BGH bestätigte, dass die Klägerin die streitgegenständliche Überweisung nicht autorisiert hatte (§ 675j BGB) und daher grundsätzlich ein Anspruch auf Kontokorrektur nach § 675u Satz 2 BGB besteht.
Aber: Schadensersatzanspruch der Bank wegen grober Fahrlässigkeit
Gleichzeitig hielt der BGH die Bewertung des Berufungsgerichts für rechtsfehlerfrei, wonach die Klägerin grob fahrlässig gehandelt habe (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB). Insbesondere die wiederholte TAN-Weitergabe am Folgetag – nach einem Tag Bedenkzeit – sei nicht mehr durch ein „Augenblicksversagen“ entschuldbar.
Wichtiger Hinweis: Augenblicksversagen bleibt möglich
Der BGH stellt jedoch klar: Ein Augenblicksversagen kann im Einzelfall dazu führen, dass ein Verhalten nicht als grob fahrlässig zu bewerten ist. Entscheidend ist die Gesamtsituation – etwa ob der Kunde überrascht wurde, keine Zeit zur Reflexion hatte oder technische Details nicht nachvollziehen konnte.
Fazit für Bankkunden und Verbraucher:
Das Urteil zeigt: Nicht jede TAN-Weitergabe ist automatisch grob fahrlässig!
Kunden, die Opfer von Phishing werden, sollten sich nicht vorschnell mit einer Ablehnung ihrer Ansprüche zufriedengeben. Die Umstände des Einzelfalls sind entscheidend – insbesondere, ob ein echtes Augenblicksversagen vorliegt.
Unsere Fachanwaltskanzlei für Bank- und Kapitalmarktrecht „HÖLLBACH Rechtsanwälte“ berät und vertritt geschädigte Bankkunden bundesweit bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber Kreditinstituten.